Die Volkswirtschaftslehre interpretiert menschliches Verhalten als zielgerichtetes Handeln. In wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Entwicklungen sieht sie das Ergebnis des Zusammenspiels vieler Akteure, die ihre jeweiligen Ziele im Rahmen ihrer Möglichkeiten verfolgen. Entsprechend betonen volkswirtschaftliche Analysen die Rolle von Anreizen, Budgetrestriktionen und beschränkten Ressourcen.
Ökonomen und Ökonominnen arbeiten theoretisch mit mathematischen Modellen und empirisch mit statistischen Methoden. Konsistente Modelle erlauben es, aus zentralen Annahmen transparent Schlussfolgerungen herzuleiten. Anhand statistischer Methoden lassen sich diese Schlussfolgerungen mit Daten vergleichen und dadurch die Qualität und Relevanz der Modelle beurteilen.
Volkswirtschaftliche Analysen und Erklärungen führen zu Handlungsempfehlungen. Diese stehen unter zwei Arten von Vorbehalten: Sie beruhen auf den ihnen zugrunde liegenden Modellen bzw. deren Annahmen, und sie sind abhängig vom Zweck der empfohlenen Massnahmen. Wirtschaftspolitisch zentral ist das Ziel der Effizienz, d.h. der Vermeidung von Verschwendung. Aber Effizienz ist nicht alles und Konflikte mit anderen Zielen wie etwa Verteilungsgerechtigkeit erfordern das Abwägen von Vor- und Nachteilen und damit in letzter Konsequenz Werturteile.
Politik
Wissenschaftler und Wissenschaftlerinnen sind keine Aktivisten oder politische Interessenvertreterinnen. Vielmehr schaffen sie Transparenz und zeigen die Konsequenzen von Massnahmen in ihrer Breite auf. Ausserdem fordern sie analytische Schärfe in der Argumentation ein. So hinterfragen sie etwa, welche Annahmen zentral für Schlussfolgerungen sind und ob Massnahmen nicht nur zweckmässig, sondern auch vorteilhafter als mögliche Alternativen sind.
Dieses Beharren auf Transparenz und analytischer Schärfe wird Ökonomen und Ökonominnen zuweilen negativ ausgelegt. Manche beklagen die Kontextualität ökonomischer Schlussfolgerungen und wünschen sich stattdessen Ökonomen als Botschafter der (ihrer) "guten Sache". Andere nehmen Ökonominnen als nüchterne Realisten oder gar Zyniker wahr, die "zu negativ" denken, wenn sie auf die Beschränktheit von Ressourcen hinweisen oder Fragezeichen bei angeblich idealistischen Motiven setzen.
Medien
In den Medien wird nur über einen sehr kleinen Teil der volkswirtschaftlichen Forschung berichtet. Wer bei der Zeitungslektüre etwa den Eindruck gewinnt, Ökonomen und Ökonominnen beschäftigten sich hauptsächlich mit Prognosen von Aktien- oder Wechselkursen, der täuscht sich; in der Tat würden die allermeisten wissenschaftlich arbeitenden Ökonomen und Ökonominnen derartige Prognosen als unbegründet oder falsch abtun.
Auch publizierte Kommentare von "Chefökonomen" und anderen vermeintlichen Spezialisten müssen nicht viel mit wissenschaftlich betriebener Volkswirtschaftslehre zu tun haben. Ein guter Gradmesser für die Qualität derartiger Kommentare ist die Stringenz in der Argumentation und die Transparenz hinsichtlich der genannten Vorbehalte: Wer Empfehlungen ohne Wenn und Aber abgibt und sie nicht schlüssig herleitet, der argumentiert kaum auf wissenschaftlicher Basis.
Dirk Niepelt
August 2024